Sonntag, 1. August 2010

Erneuerbare Energien: Wer sollte für die Speicherkapazitäten sorgen?

Man liest immer wieder davon, dass Wind- und Sonnenkraftwerke den Strom zu den falschen Zeiten erzeugen und dass man daher erst einmal Speichertechnologien entwickeln sollte:
  • FDP: Der Ausbau der erneuerbaren Energien sollte gebremst werden, bis diese grundlastfähig sind
  • Franz Alt/Die Zeit: Die Batterien von Elektroautos wird man zukünftig zu riesigen virtuellen Speichern zusammenschalten und damit die starken Schwankungen von Wind und Sonne kompensieren
  • Großen 4 Energieversorger: Der ungezügelte Ausbau von Wind- und PV-Kraftwerken stellt die Versorgungssicherheit in Frage
Es gibt in der Tat erste Versuche, den Strom von PV-Anlagen in riesigen Batterien in den Kellern der Häuser zu speichern. Diese sind allerdings noch teuer und nicht langlebig.

Wenn man diese Diskussionen vom Stammtisch-Niveau auf die Sachebene herunterzieht wird m.E. klar, dass es sich um 4 Ebenen handelt. Die einzelnen Ebenen haben dabei nicht unbedingt etwas miteinander zu tuen. Und daher muss man vorsichtig sein, wenn man die Argumente der verschiedenen Ebenen miteinander vermischt, was leider manchmal geschieht.

Ebene 1: Netzstabilisierung durch Regelenergie auf der Ebene des europäischen Verbundnetzes

Die Übertragungsnetzbetreiber (ENBW, RWE, EON, Vattenvall) tragen die Verantwortung dafür, dass zu jedem Zeitpunkt Strom aus der Steckdose kommt. Hierzu wird positive Regelenergie (Erhöhung der Strom-Produktion, Reduktion des Verbrauchs) und negative Regelenergie (Reduktion der Produktion bzw. Erhöhung des Verbrauchs) eingesetzt um Einspeisung und Verbrauch exakt im Gleichgewicht zu halten.

Die geschieht beispielsweise durch die Leistungsanpassung von Großkraftwerken, Starten/Stoppen von KWK-Anlagen, Starten/Stoppen von Wärmepumpen, Ein/Abschalten von industriellen Großverbrauchern und den Einsatz von Speicherkraftwerken erreicht.
Die 4 deutschen Übertragungsnetzbetreiber sind dabei als Mitglieder der UCTE technisch und vertraglich in ein europäischen Netz eingebunden, so dass die Netzstabilisierung auf europäischer Ebene entweder gelingt oder zusammenbricht.

Ursachen für Netzschwankungen sind übrigens nicht nur Wolken, die sich vor die Solarkraftwerke schieben oder die Böhe, das das Windrad beschleunigt sondern auch Notabschaltungen von Kernkraftwerken oder eine Fehlprognose des aktuellen Verbrauchs (Mehr zu Regelenergie bzw. Regelleistung).

Ebene 2: Lastprofile auf der Ebene des Energieversorgers

Jeder Energieversorger ist verpflichtet, immer genau soviel Energie in das Stromnetz einzuspeisen wie seine Stromkunden gerade beziehen.
Das wirft 2 Probleme auf:
a) Woher soll der Energieversorger wissen, wieviel Strom seine Kunden gerade aus dem Netz beziehen?
b) Wie kann der Stromversorger die wechselnde Leistungsfähigkeit seiner Kraftwerke mit der wechselnden Nachfrage seiner Kunden synchronisieren?

zu a)
Für Großabnehmer wird das Lastprofil alle 15 Minuten gemessen und dem Energieversorger übermittelt. Für alle anderen Kunden gibt es Standardlastprofile. Man geht also davon aus, dass sich das individuelle Verbrauchsverhalten der einzelnen Stromkunden in der Masse zu einem Standardlastprofil aufaddiert und das jeder Stromversorger einen repräsentative Querschnitt von Kunden hat.
Die Antwort zu a) wird also durch eine Vereinfachung erreicht: jeder Energieversorger muss über den Tag das Standardlastprofil all seiner Kunden nachfahren. Daher reicht es, wenn die Kunden ein mal pro Jahr Ihren Verbrauch melden damit der Energieversorger die Gesamtmenge für das nächste Jahr entsprechend anpassen und die Standard-Lastkurve die er dann erfüllen muss berechnen kann.

zu b) Zunächst einmal versucht der Energieversorger die o.g. Lastkurve mit seinen Kraftwerken nachzufahren. Da aber die Stromproduktion aus Kohle, Atom, Wasser sich nicht so flexibel anpassen lässt (bzw. die Anpassung teuer/ineffizient) ist, werden Über/Unterkapazitäten an andere Energieversorger verkauft, die zu dem Zeitpunkt das entgegengesetzte Problem lösen müssen.

Die Strommengen werden meist an der European Energy Exchange gehandelt wobei Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen. Manchmal handeln die Energieversorger auch direkt miteinander, wobei sich dann die bilaterale Preisfindung offenbar auch an dem Marktpreis an der EEX orientiert.

Übrigens: Wenn man auf der Webseite der EEX auf Marktdaten klickt, kann man sehr schön den aktuellen Strompreis sowie dessen Verlauf in den letzten Tagen, Monaten und Jahren sehen.
Dabei liegt der Strompreis meist so bei 3-5 Cent/KWH (d.h. 30-50 Euro pro MWH).
Es gibt aber auch Momente, wo ein Preis von -10 Cent/KWH erreicht wird!!!

Ein Energieversorger hat dann gute Karten, wenn er in der Lage ist
  • das Standardlastprofil immer genau aus eigener Erzeugung zu decken
  • Strom zuzukaufen, wenn dieser billiger ist als die eigene Erzeugung
  • Strom zu verkaufen, wenn er dafür mehr Geld bekommt, als die eigene Herstellung kostet
Ebene 3: Regionale Versorgung

Immer wieder liest man davon, dass eine Stadt sich zu 100% aus erneuerbaren Energien versorgen kann bzw. dieses anstrebt. Oder dass ein Kohlekraftwerk in einer Stadt gebaut werden soll, damit die lokale Energieversorgung langfristig sichergestellt ist.

Ich habe für solche Aussagen nirgendwo sachliche Grundlagen gefunden und vermute daher, dass diese Ebene 3 gar nicht existiert:
  • Im liberalisierten Strommarkt hat jeder Verbraucher die freie Wahl, von welchem Energieversorger er seinen Strom bezieht. Ich kann also in Biblis wohnen und schwedischen Öko-Strom aus Wasserkraft beziehen oder neben einem Windpark an der Nordsee wohnen und Atomstrom aus Baden Würtenberg beziehen.
  • Eine Stadt bildet keine Einheit, in der jemand versucht eine Netzstabilisierung herbeizuführen. Das geschieht auf Ebene 1. Die Lastprofile müssen auf Ebene des Energieversorgers (Ebene 2) erfüllt werden und nicht auf der Ebene der Region oder Stadt.
Die Ebene 3 existiert vermutlich im Sinne von der Agenda 21 - dem Geist von Rio 1992: Global denken und lokal handeln.
Ich finde es ein sehr guter Ansatz, durch nachhaltige lokale Konzepte die Energie zu erzeugen, die lokal auch verbraucht wird.

Mit dem Thema dieses Artikels hat das aber weniger zu tuen und als Argument ein Kohlkraftwerk in einer Stadt bauen zu wollen taugt es gar nicht.

Ebene 4: Der einzelne Haushalt

Viele bauen eine PV-Anlage auf Ihr Dach und erhalten dafür die über das EEG garantierte Einspeisevergütung. Der Strom wird dabei unabhängig von dem Eigenbedarf zu 100% ins Netz eingespeist.

Viele (insbesondere die Kritiker des EEG) Fragen sich nun, ob man den Strom nicht zu Hause in Batterien speichern müsste um ihn schließlich selbst zu verbrauchen anstatt mit unkontrollierter Einspeisung die Stromnetze zu destabilisieren.

Dies wäre m.E.
a) viel zu teuer und umweltschädlich
b) irrelevant
c) kontraproduktiv

zu a)
Das Speichern von Strom ist teuer. Um den Nachtbedarf am Tage zu speichern bzw. den Winterbedarf im Sommer wären Batterien mit 10-30 KWH bzw. 1000-2000 KWH Kapazität erforderlich. Bei der Speicherung gingen rund 20% der Energie verloren.
Nach wenigen Jahren würden große Mengen Sondermüll und Kosten für die Neuanschaffung von Batterien anfallen. Hinzu kämen Kosten für die Netzstabilisierung im Hause um auf rasch schwankende Nachfrage/Einspeisung reagieren zu können.
Und bei einem Ausfall der Technik müsste man dann doch auf das Netz zugreifen.

zu b)
Die Netzstabilisierung im Haus ist irrelevant, da es Aufgabe der Übertragungsnetzbetreiber ist (Ebene 1) die Netze zu stabilisieren. Der einzelne Haushalt darf nicht die Aufgabe haben für Regelenergie zu sorgen um damit die europäischen Stromnetze zu stabilisieren, da die Übertragungsnetzbetreiber dafür bezahlt werden dies zu leisten und das einzelne Haus ohnehin nicht dafür haftbar gemacht werden wenn dies nicht gelingt und die Netze zusammenbrechen. Diese Verantwortung muss zentral (d.h. auf Ebene 1) wahrgenommen werden.

An der Argumentation ändert sich nichts, wenn das Haus eine PV-Anlage hat und zu bestimmten Zeiten Strom einspeist während es zu anderen Zeiten Strom bezieht.

zu c)
Während ein Haus mit seiner PV-Anlage Strom erzeugt sind umliegend viele Häuser, die keine PV-Anlage haben und Strom verbrauchen. In einem Wohngebiet wird zu jedem Zeitpunkt mehr Strom verbraucht als Strom erzeugt. Daher trägt jede PV-Anlage in einem Wohngebiet zu einer Entlastung der lokalen Netze und Reduzierung von Leitungsverlusten bei - egal wann die Sonne scheint.

Der Strom aus PV-Anlagen passt sehr gut zum Standardlastprofil, da am Tage die Erzeugung am höchsten ist während auch der Verbrauch in Haushalt, Gewerbe und Industrie am Tage sein Maximum hat.
Zudem ergänzt sich der PV-Strom sehr gut zu Windstrom: Windenergieanlagen erzeugen den meisten Strom von September-April während PV-Anlagen den meisten Strom von April-September erzeugen.
Wenn PV-Anlagenbesitzer anfangen würden ihren Strom am Tage oder im Sommer zu speichern, so würde dieser positive Effekt wegfallen.
Zudem würden sie evtl. genau zu dem Zeitpunkt den Strom speichern in dem der Übertragungsnetzbetreiber mit enormen Aufwand Regelenergie herbeischafft weil irgendwo ein Kraftwerk vom Netz gegangen ist.
D.h. der Regelenergiebedarf kann vom einzelnen Haushalt nicht erkannt werden und hierfür in der Fläche Batterien in die Keller zu stellen ist wenig sinnvoll.

Fazit:

Das Thema Netzstabilisierung und Stromspeicherung muss m.E. aus der Sicht des Verantwortlichen auf der jeweiligen Ebene gesehen werden.
Wenn es um Regelenergie geht, passen Batterien und Elektroautos nicht ins Konzept weil diese auf der falschen Ebene existieren.

Sehr wohl ist es jedoch möglich, durch das gezielte An/Abschalten von vielen Stromverbrauchern den Stromverbrauch zu verändern. Dank dem Internet ist dies zukünftig nicht nur für Großverbraucher sondern auch für Geräte in privaten Haushalten kostengünstig möglich.
Bevor man das aber vorschlägt muss man sich aber überlegen, auf welcher Ebene man sich bewegt:

Der private Haushalt hat nur eine Vertragsbeziehung mit seinem Energieversorger. Um den Energieversorger bei der kostengünstigen Einhaltung seines Lastprofils zu unterstützen muss dieser erst einmal eine Infrastruktur aufbauen um für alle (viele) seiner Kunden das tatsächliche Lastprofil alle 15 Minuten zu erheben. Ansonsten geht ohnehin alles im Einheitsbrei des Standardlastprofils unter. Daran ändert das Abschalten von Kühlschränken wenig.

Wenn man private Haushalte an der Bereitstellung von positiver/negativer Regelenergie beteiligen möchte, so muss der jeweilige Energieversorger dieser Haushalte erst einmal ein Konzept aufbauen, wie er seine Stromkunden zu einem virtuellen Erzeuger von Regelenergie zusammenschalten möchte um diese Regelenergie dann an die Übertragungsnetzbetreiber zu vermarkten.

Eine andere Möglichkeit ist, dass ein Stromversorger die Kontrolle über die dezentralen Stromerzeugungsanlagen übernimmt und diese in Eigenregie ein/ausschaltet um Regelenergie zu erzeugen.
Der Schwarmstrom von Lichtblick ist ein prominentes Beispiel hierfür. Meines Erachtens ist es eine charakteristische Eigenschaft des Konzeptes, dass der Kunde keinen Zugriff auf den Strom hat, der in seiner KWK-Anlage erzeugt wird. D.h. es darf kein Eigenverbrauch des so erzeugten Stroms geben, da sonst die Ebenen durchbrochen würden (bei Lichtblick ist das offenbar auch so).


Wie man an den diversen Teilmärkten an der EEX sehen kann, hat der Markt von Regelenergie nichts/nicht viel mit dem Strommengen-Markt der Energieversorger zu tuen.

Meines Erachten ist für die Batterie im Keller weder technisch noch wirtschaftlich oder vertraglich ein sinnvoller Platz in diesem Gebilde vorhanden.